Biorhythmus – Ist das nun Chronobiologie oder nicht?

Der wohl bekannteste Begriff der die Chronobiologie beschreiben soll ist der Begriff Biorhythmus. Auch für mich war dies in 2002 der erste Begriff, mit dem ich das Thema erstmals angegangen bin, bis ich dann kurz darauf, tiefer in der Materie, die Bezeichnung Chronobiologie kennenlernte. Wissenschaftler mögen den Begriff „Biorhythmus“ dagegen überhaupt nicht. Woran liegt das, und was beschreibt nun genau der Begriff Biorhythmus?

Biorhythmus – Die Urspünge

Diese Lehre ist keineswegs mittelalterlich, sondern im Kern sogar wissenschaftlich. Die Biorhythmik ist die praktische Umsetzung der Periodenlehre von Wilhelm Fliess bzw. Wilhelm Swoboda. Sie entstand zu Anfang des 20. Jahrhunderts und wurde von dem Wiener Psychologen Hermann Swoboda und dem Berliner Arzt Wilhelm Fließ, einem Brieffreund Sigmund Freuds, aufgestellt, nachdem in den Krankenakten der Patienten übereinstimmend Regelmäßigkeiten aufgefallen waren. Beide wollen diese Theorie unabhängig voneinander entwickelt haben, und gerieten sogar in einen Urheberechtsstreit wegen der Erkenntnisse. Ob es nun der Unterstützung Freuds oder anderen Parametern geschuldet ist, das heute in erster Linie Wilhelm Fließ als Urheber genannt wird, sei dahingestellt. Swoboda veröffentlichte jedenfalls 1904 seine Schrift „Die Perioden des menschlichen Organismus[1]https://archive.org/details/bub_gb_qvs-AAAAYAAJ/page/n3/mode/2up (1904).

Biorhythmus  – Die Theorie

Grafik Biorhythmus
Biorhythmus nach Fließ (Grafik: Life of Riley, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)

Es wurde versucht, hinter den „guten“ und „schlechten“ Momenten eines Lebens der Patienten eine gewisse Gesetzmäßigkeit zu entdecken. Im Kern ging es dabei auch um dem Menstruationszyklus von Frauen, bei dem rhythmisch Befindlichkeiten aufgefallen sind. Diese wurden dann in einem entsprechenden kürzeren Periode auch bei männlichen Probanden festgestellt. Aus diesem Grunde sind die festgestellten Rhythmen nahe dem Monatszyklus der Frauen. Testpersonen haben hier Tagebücher geschrieben, aus denen dann von Swoboda und Fleiss entsprechende Rückschlüsse gezogen wurden. Unterschieden wird dabei in drei Rhythmen.

  1. Körperlicher Rhythmus (23 Tage)
  2. Emotionaler Rhythmus (28 Tage)
  3. Geistiger Rhythmus (33 Tage)

An den unterschiedlichen Phasenlängen sehen wir schon, dass dies nun nichts mehr mit circadianer oder circannualer Rhythmik zu tun hat. An den jeweiligen Übergängen Peaks (also höchster bzw. niedrigster Punkt einer Rhythmus-Periode, stellten beide kritische Erscheinungen bei den beobachteten Personen fest, wie z.B. Angst, sexuelle Unlust, teilweise verbunden aber auch mit hoher Leistungsbereitschaft[2]Seite 20 -> https://archive.org/details/bub_gb_qvs-AAAAYAAJ/page/n37/mode/2up.
Der Biorhythmus bei Geburt wiederholt sich laut dieser Theorie alle 23 × 28 × 33 Tage, was dann 58 Jahren und 2 Monaten ausmacht. Da die Rhythmen jeweils eben ausgehend von der Geburt zu sehen waren, ergab sich nun für die Theorie die Schlussfolgerungen, dass sich gute und schlechte Tage quasi über den Geburtstage berechnen ließen

Theorie und Praxis

Wissenschaftlich belegen lies sich diese Theorie bis heute nicht. Entsprechende Studien[3]https://link.springer.com/article/10.1007/BF02034167 konnten keinen Unterschied zu Zufallserscheinungen feststellen. Zunehmend wurde die Theorien auch durch die Erkenntnisse aus der Chronobiologie heraus widerlegt. Es ist anzunehmen, dass Fliess und Sowboda grundsätzlich schon erkannt hat, dass eine Rhythmik besteht, jedoch den letztendlich falschen Weg in Bezug auf die Schlussfolgerungen verfolgt hat, zumal sich in den Schriften von Swoboda ein starker Bezug zum Menstruationszyklus der Frauen zeigt.

Biorhythmus und Esoterik

Den eigentlich durchaus wissenschaftlich gedachte, aber nicht belegbare Ansatz, hat sich im Laufe der Zeit zunehmender Beliebtheit im Bereich der Esoterik gefunden. Dies liegt nicht zuletzt auch am expliziten Bezug der Theorie zu Körper, Geist und Seele als in sich getrennt anzusehende Bereiche, die aber als Einheit im Aussen auftreten. Gerade die mathematische Berechenbarkeit bietet dabei einen interessanten Aspekt.

Der Begriff in der Wahrnehmung

Da dieser Begriff durch die wissenschaftlich widerlegte Theorie von Fliess aus Sicht der Wissenschaft quasi negativ belegt und zudem inzwischen stark esoterisch besetzt ist, wird er im wissenschaftlichen Duktus offiziell gemieden. Man hat lange versucht, dem Biorhythmus die Begrifflichkeit „Biologische Rhythmen“ entgegenzustellen, was sich aber schon auf Grund der Sperrigkeit bis heute nicht durchgesetzt hat. In der öffentlichen Wahrnehmung, wie auch in der Berichterstattung verschmelzen zunehmend Biorhythmus und Chronobiologie.

Biorhythmus und Chronobiologie – ein Paradoxon

Genaugenommen beschreibt „Biorhythmus“ das Wesen der Chronobiologie wesentlich exakter, als der Begriff „Chronobiologie“ selbst. Während Biorhythmus und biologischer Rhythmus im Prinzip aus dem Wort heraus keine Unterschiede zeigen, suggeriert Chronobiologie (Chronos = griechisch für Zeit) als hätten wir hier eine zeitliche Komponente in der Biologie. Dabei ist klar, dass die Zeit selbst eine rein menschengemachte Erfindung ist. Die Natur kennt keine Sekunden, Minuten oder Stunden. Sie kennt rhythmische Vorgänge. Gerade diese eben nicht zeitlich auf die Sekunde fix festzulegenden Perioden kennzeichnen ja den natürlichen Rhythmus gegenüber dem künstlichen Takt. Eine zeitlich auf Sekunden exakte Taktung des Lebens würde kein Leben ermöglichen. Auch der Begriff „Innere Uhr“ ist genaugenommen falsch, denn sämtliche innere Uhren sind nicht sekundengenaue Instrumente, sondern in einem gewissen Rahmen flexible Impulsgeber.
So ist „Biorhythmus“ der sicherlich passendere Begriff, wenn es um die rhythmischen Prozesse in der Fauna und Flora geht. Ein Gegensatz, der sich schwerlich auflösen läßt. Was sich nun langfristig etablieren wird, wird man sehen.


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Referenzen

Referenzen
1 https://archive.org/details/bub_gb_qvs-AAAAYAAJ/page/n3/mode/2up
2 Seite 20 -> https://archive.org/details/bub_gb_qvs-AAAAYAAJ/page/n37/mode/2up
3 https://link.springer.com/article/10.1007/BF02034167