Lange Arbeitswege machen krank und dick

Pendeln ist ein hoher Stressfaktor

Man sollte sich lieber nicht die Mühe machen einmal zusammenrechnen, wieviel Zeit man im Leben damit verbringt, die Distanz zwischen Arbeitgeber und Wohnung zu bewältigen. Oder doch?
Rechnen wir 45min einfache Anfahrtszeit, bei 5 Arbeitstagen/Woche, 46 Wochen im Jahr, und dies bei 40 Jahren Arbeitsleben, dann kommen wir auf sage und schreibe 575 Tage unseres Lebens die wir nur zu diesem Zweck ununterbrochen unterwegs sind.
Agentur für Arbeit und Arge sehen dies als relativ problemlos an, werden doch als „zumutbare Fahrtzeit“ auch schon mal 2-3h angesetzt – je nach Fallkonstellation. Laut statistischem Bundesamt sind Fern-Pendler im Schnitt 74min unterwegs – einfach. Dies bedeutet, dass ein großer Anteil weit länger unterwegs ist. So werden aus den 575 Tagen ununterbrochener „Pendel-Fahrtzeit“ schnell über 1000 – also fast 3 Jahre. Rechnen wir den Schlaf als gefühlte „nichterlebte Lebenszeit“ ab, kommt noch einmal 1/3 drauf.

Natürlich – reine Rechenspiele. Angeblich wühlen Frauen auch 74 Tage Ihres Lebens in der Handtasche. Allerdings ist dies weniger gesundheitsschädlich – sofern wir von regulärem Handtascheninhalt ausgehen.

Als Fernpendler gelten alle Personen, die für eine einfache Fahrtstrecke mindestens 60min benötigen. Laut einem Bericht im Lohrer Echo, vom 19.09.2012 fahren die Hälfte davon mit dem Auto. Aus dem Fehlzeitenreport 2012 der AOK geht dabei hervor, dass diese Personengruppe zudem häufiger wegen psychischen Erkrankungen fehlt, und vor allem auch unter Gewichtsproblemen leide. Denn die Tatsache, dass man im Schnitt 2-3h unterwegs ist, führt häufig zu hastigem, unüberlegten und damit ungesunden Form des Essens. Zudem bewegt man sich nicht. Interessanterweise ist dies vor allem auch bei den Personen zu beobachten, welche mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind. Das Warten an den Bahnhöfen verleitet hier eher dazu, schnell gekauftes schnell herunterzuschlingen.

Es ist ein verrückter Gedanke, dass einem Arge und Agentur für Arbeit, quasi per Dekret in eine ungesunde Lebensweise hineinzwingen kann. Denn vor allem auf den Arbeitsvermittlungssektor werden ja in erster Linie die Arbeiten vermittelt, welche oft am weitesten von Liquid Work, also gesundem Arbeiten entfernt sind. Freie Wahl der Arbeitsform findet hier nicht statt, somit auch keine Wahl der Arbeitszeit. Selbst wenn flexible Arbeitszeiten die Grundlage eines Arbeitsvertrages sind, so zwingt einem die lange Anfahrt dazu, quasi bereits 3h auf den Beinen zu sein, bevor der erste Handgriff im Unternehmen durchgeführt werden kann. Bis zur Frühstückspause vergehen dann in der Regel nochmals 1 bis 2h.

Die Tatsache dass diese (teilweise erzwungenen) Fernpendler im Prinzip 12h unterwegs sind, nur um eine Vollzeitbeschäftigung auszuüben, sehe ich persönlich als alles andere, als ein Fortschritt innerhalb der Arbeitswelt an.

Die Notwendigkeit des Pendelns ist der Anachronismus von morgen. Denn es ist eine der ineffizientesten Gegebenheiten unserer Zeit (da macht es auch keinen Unterschied ob mit eigenem Auto oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln), welche zudem sowohl der Gesundheit, als auch der Natur und der Gesellschaft an sich schadet. Liquid Work, aber auch schon die Möglichkeiten des mobilen Arbeitensbieten hier ein gewaltiges Potential, all die negativen Auswirkungen des Pendelns (positive gibt es keine) zu reduzieren. Es wird immer Arbeitsformen geben, welche ein Pendeln notwendig machen, was aber keinesfalls gegen eine Optimierung spricht. Wichtig ist aber immer, Wechselwirkungen im Auge zu behalten.

Weitere Berichte anderer Medien zu diesem Thema:

Neue Arbeitswelt macht Millionen Deutsche krank, Die Welt, 16.08.2012

Fehlzeiten-Report 2012: Zu viel berufliche Flexibilität schadet der Psyche, na-Presseportal, 16.08.2012