Schlafanalyse in Kapselhotels

Schlafanalysen in Kapselhotels?

Was in unseren Breiten (noch) unvorstellbar ist, ist in Japan gang und gäbe. Statt Hotelzimmer wird dort in Schlafkapseln geschlafen. Ich nenne das liebevoll „Schlafzäpfchen“.

Nine Hours ist so eine Hotelkette, die solche Zäpfchen zum Übernachten anbietet. Japaner sehen hier weniger ein Problem, denn am Ende schlafen alle in einem Bett, egal wie groß das Zimmer um sie herum ist. Arbeiter, Studenten und Touristen lieben diese einfache Übernachtungsmöglichkeit. Nine Hours setzt aber jetzt noch eines obendrauf. Auf Wunsch wird der eigene Schlaf kostenlos während der Übernachtung analysiert. Das wiederum hört sich zunächst spannend an, lässt man mal den Datenschutz erst einmal beiseite.

Kurz mal den Schlaf analysiert

Mit sanfter Beleuchtung, bequemer Bettwäsche und einem Vorhang für Privatsphäre kostet ein Aufenthalt zwischen 3.800 und 30.000 Yen (26 bis 203 $) pro Nacht. Aber der Clou ist: Die Übernachtungsgäste können ihren Schlaf ohne zusätzliche Kosten analysieren lassen. Eine Kamera, ein Mikrofon und ein Körpersensor in der Kapsel verfolgen jede Bewegung über Nacht.

„Wir wollten ein Unternehmen, das Markteinbrüche überstehen kann, selbst wenn der Tourismus scheitert“ Yasuyuki Watanabe, Direktor des Hotels Nine Hours.

Vor einigen Jahren hat Nine Hours erhebliche Mittel investiert, um mit der Schlafüberwachung und Datenerfassung zu beginnen. Dabei wird in seinen Kabinen eine branchenweit einzigartige Schlafanalysetechnologie eingesetzt.

Wenn Gäste der Datenerfassung zustimmen, werden Herzschlag, Drehbewegungen des Körpers, Schnarchen, Atemfrequenz sowie die Schlafdauer überwacht. Am Ende erhalten die Gäste einen detaillierten Bericht zum Mitnehmen bzw. per E-Mail. Aber es geht noch weiter. Jeder, bei dem ein Risiko auf Schlafapnoe oder Depression festgestellt wird, wird über ein spezielles Meldesystem mit einem Fachmann verbunden.

Die Hotelkette, zu der aktuell 13 Hotels in 5 Städten Japans gehören, erfasst laut Angaben auf der Website so Daten von inzwischen 1 Mio. Gästen pro Jahr. Jedoch ist nicht jedes Hotel mit einer Analyse ausgestattet. Laut Watanabe werden aber inzwischen auch Gewinne eingefahren.

Produktplacement

Hinter diesen Gewinnen steckt aber noch mehr. Zum einen natürlich die Vermittlung von Beratungsgesprächen, denn, wie schon gesagt, wird bei Auffälligkeiten ein Kontakt zu einem Fachmann (wie immer das auch aussieht) hergestellt. Wie die Meldesituation aussieht, wenn man vom System sogar als „Hochrisikopatient“ eingestuft wird, ist der Quelle nicht zu entnehmen.

Jedoch kann es in Japan durchaus sein, dass man damit eine Alarm-Welle auslöst. Aber es geht noch weiter. Denn wenn der Kunde wieder zu Hause ist, bekommt er rund eine Woche später eine Mail mit der Schlafanalyse zugeschickt. Diese beinhaltet auch Kaufempfehlungen für Produkte wie z.B. ein Sensor-Kit für zu Hause, um Schlafmuster genauer zu untersuchen.

Was sagen die Forscher?

Schlafexperten und vor allem Wissenschaftler sehen dieses Modell eher kritisch, denn um Schlaf korrekt analysieren zu können, bedarf es wesentlich aufwändigerer Techniken, da z.B. Gehirnströme gemessen werden müssen, um Schlafzyklen genau beurteilen zu können. Genau dieses Thema behandeln wir übrigens auch in unserer ChronoCoach-Ausbildung, da die gängigen Schlafanalysen von Trackern eben nicht auf die erforderlichen Messpunkte zurückgreifen, was man wissen muss.

Was sage ich?

Alles hat immer zwei Seiten. Die Grundidee ist am Ende nichts anderes als die von Schlaftrackern, jedoch optimiert mit der Kameraverfolgung, was eine genauere Schlafanalyse zulässt. Dennoch sollte man die Analysen auch genauso wie die von Schlaftrackern bewerten. Es geht dabei im Kern bei Trackern nicht um eine medizinische Analyse oder gar eine Diagnose, sondern darum, einen groben Überblick über das eigene Schlafmuster zu erhalten. Dies ist jedoch nur möglich, wenn man den Schlaf über einen langen Zeitraum verfolgt, um z.B. auch Ausreißer in den Messungen, die technisch begründet liegen, entsprechend bewerten zu können. Wer sich nur einen Tag in einem Hotel aufhält, wird keine valide Analyse erhalten, die über die Bewertung dieser einzigen Nacht hinausgeht.

Genau diese Langzeitbetrachtung ist jedoch in diesen Schlafkapseln bzw. bei Hotels generell meistens nicht möglich. Je nach Aufenthaltsdauer erhält man nur einen sehr kurzen Ausschnitt seines Schlafprofils. Dies kann zu Fehleinschätzungen führen. Anders vielleicht bei Urlaubshotels, wobei im Urlaub natürlich in der Regel ein anderes Alltags-Verhalten zum Tragen kommt als im regulären Alltag.

Was mich auch stört, ist, dass dieses Geschäftsmodell mit dieser Ungenauigkeit spielt. Niemand weiß, ob die Analysen am Ende dem tatsächlichen Schlafverhalten entsprechen, da man sich eben in einer privaten, soweit ersichtlich, nichtmedizinischen Einrichtung befindet. So kann ein kurzer Aufenthalt Wellen schlagen, die völlig an der Realität vorbeigehen, vor allem wenn es eben auch darum geht, Produkte zu verkaufen.

Interessant wären natürlich Studien, die aufzeigen, wie entsprechende Schlafanalysen im Schlaflabor parallel dazu aussehen würden, um aufzuzeigen, wie weit sich eine dort gestellte Schlafanalyse mit der in einem Labor deckt.

Fazit

Die Grundidee scheint im ersten Moment spannend, denn das Geschäft von Hotels ist nun einmal der Schlaf. Warum also das Angebot nicht auf ein neues Level heben? Jedoch ist es ein schmaler Grat auf dem sich ein Anbieter hier bewegt, denn medizinische Elemente hier in ein Geschäftsmodellzu integrieren, auf dem auch Folgeleistungen basieren, ist zumindest aus meiner Perspektive zunächst mit Fragen behaftet. Wer eine solche Schlafanalyse in Anspruch nehmen will, sollte diese wirklich in erster Linie noch als „Gimmick“ verstehen und nicht per se gleich nach einer Nacht den Schlafexperten aufsuchen. Sollte sich die Technik so weiterentwickeln, dass eine solche Kapsel tatsächlich valide Analysen erstellen kann, dann wäre der Aspekt „Schlafanalyse“ durchaus spannend für hiesige Hotels, ohne das Kapselmodell übernehmen zu müssen.

Als Geschäftsmodell, bei dem Produktverkäufe und Vermittlungen von Fachberatungen eine wichtige Rolle spielen, sehe ich jedoch die Gefahr, dass das Geld vor der seriösen Analyse steht. Und angehängte Alarmketten sollten ebenfalls medizinisch im Vorfeld sehr sauber überprüft werden, um eine bestmögliche Versorgung und nicht bestmöglichen Profit im Fokus zu halten.

Pro Jahr sammelt Nine Hours aktuell übrigens angeblich Daten von über 1 Mio. Nutzern. Die Hotelkette plant eine internationale Expansion und strebt bis 2030 30 Kapselhotels mit Schlafüberwachung in Europa und 10 in Nordamerika an. Es kann also auch sein, dass bald in Städten wie Berlin, Frankfurt oder Köln ein solches Schlafzäpfchen-Hotel eröffnet.

Apropos Geld: Die Übernachtungen in einer solchen Kapsel, wie schon erwähnt, kosten zwischen 26 $ und 203 $, letzteres wohl eher in Ballungszentren. Sehen wir mal, wie das dann in Deutschland aussieht.