Innovation in der Schichtarbeit – Am Anfang stand mein Vortrag zum Thema „Chronobiologie in der Personaleinsatzplanung“ sowie ein gemeinsamer Workshop mit Führungskräften. Zusammen mit der Klinik Wartenberg haben wir Anfang 2019 das Projekt „Chronotypenorientierte Personaleinsatzplanung“ entwickelt. Hiermit betreten wir in dieser Größenordnung weltweites Neuland. Auch der dabei verwendete Bluttest der Charité wurde noch nie so umfänglich in Anspruch genommen.
Ausgangssituation – Schlafstörungen durch Schichtarbeit
Bei einer Vortragsreihe von mir vor Entscheidern aus Wirtschaft und Gesundheitswesen im Auftrag der AOK Bayern kam es im Nachgang zu einem Gespräch mit der Klinikleitung und den BGM-Verantwortlichen. Im Verlauf des Gespräches kristallisierte sich die Idee heraus, Schichtzeiten chronotypenoptimiert zu gestalten. Grundlage waren dabei die Ergebnisse regelmäßiger Mitarbeiterbefragungen. Das Thema „Schlafstörungen“ wurde gerade unter den Mitarbeitern aus dem Schichtdienst zunehmend als belastend bezeichnet. In einem darauffolgenden Workshop wurden die Gedanken konkretisiert und konzeptionell in ein Gesamtprojekt „Chronobiologie in der Klinikpraxis“ festgezurrt.
Ziele
Auf Seiten der Mitarbeiter:
- Reduzierung von Krankheitsrisiken vor allem im Bereich der psychischen Belastung (BurnOut, Depression, psychosomatische Folgen etc.)
- Verbesserung des persönlichen Wohlbefindens
- Erhöhung der durchschnittlichen Schlafdauer
- Verbesserung der Schlafqualität
Auf Seiten des Unternehmens (in Anlehnung an die generellen Ziele des klinikinternen BGM)
- Reduzierung der Fehlzeiten
- Reduzierung der Fehlerquote
- Erhöhung der Motivation
- Verbesserung der Pflegesituation
- Stärkung des Employer Branding
- Fachkräftegewinnung insb. für die bauliche Erweiterung
Das Projekt „COPEP“ in der Schichtarbeit
Als wissenschaftliche Leitung wurde Chronobiologe Prof. Dr. habil. Thomas Kantermann der FOM in Essen hinzugezogen, und im Verbund mit dem Team „BodyTime“ um den Chronobiologen Prof. Achim Kramer an der Charité in Berlin starteten wir im Juli 2019 gemeinsam das erste Teilprojekt, die Studie „Chronotypenorientierte Personaleinsatzplanung“. Im Vorfeld hat Michael Wieden in mehreren Vorträgen und Gesprächen die Mitarbeiter über die Thematik und den Projektablauf informiert.
Meilensteine
- Juli 2019 – Betriebsinterner KickOff-Gesundheitstag im Juli 2019 zusammen mit dem BodyTime-Team. Hier haben wir über das Projekt informiert und freiwillige Mitarbeiter für eine erste Studie geworben. Dies und weitere Maßnahmen haben letztendlich dazu geführt, dass sich über 130 Mitarbeiter für die freiwillige Chronotypisierung auf Basis eines Bluttests gemeldet hatten.
- Oktober 2019 – Blutentnahme und Transport der Proben an die Charité durch BodyTime erfolgt im Rahmen weiterer interner Gesundheitstage.
- November 2019 – Zusendung (online) der Ergebnisse der Chronotypisierung an die Teilnehmer auf Basis des festgestellten DLMO-Wertes.
- November 2019 – Interviews durch uns (aliamos GmbH) mit den Teilnehmern, die die Ergebnisse zur Weiterverarbeitung freigegeben hatten, um weitere Zeiten zu ermitteln (z.B. Fahrtzeiten, Morgen-/Abendhygiene, Kinderbetreuung etc.). Diese Zeiten wurden von uns dann zu der biologischen Schlafzeit der Mitarbeiter hinzugefügt.
- Dezember 2019 – Ermitteln eines empfohlenen Arbeitsfensters als Grundlage für die weitere chronotypenorientierte Schicht- und Personaleinsatzplanung durch uns (aliamos GmbH)
- Januar -März 2020 – Ausarbeitung der Chronotypenorientierten Personaleinsatzpläne durch die Klink Wartenberg.
- 01.04.2020 – Start der neuen Arbeitszeiten
- 30.07.2020 – Ende des Studienzeitraumes
- Seit 08.2020 Wissenschaftliche Auswertung
- Präsentation der Ergebnisse im Juni 2021
Juli 2019 – Betriebsinterner KickOff-Gesundheitstag im Juli 2019 zusammen mit dem BodyTime-Team. Hier haben wir über das Projekt informiert und freiwillige Mitarbeiter für eine erste Studie geworben. Dies und weitere Maßnahmen haben letztendlich dazu geführt, dass sich über 130 Mitarbeiter für die freiwillige Chronotypisierung auf Basis eines Bluttests gemeldet hatten.
Ergebnisse und Erfolge
58% weniger mit schlechter Schlafqualität und
72% weniger mit Tagesmüdigkeit
20% reduzierter Weckergebrauch
u.v.m.
Die komplette Ergebnisauflistung inkl. der Projektbeschreibung finden Sie in unserem Whitepaper zum Download hier.
Chronotypenverteilung
Nicht zuletzt hat die Klinik jetzt durch die Auswertung der Bluttests einen Überblick darüber, wie ein Teil der Mitarbeiter „tickt“. Dies ist bei jedem Projekt der Ausgangspunkt für alle weiteren Maßnahmen in Schichtarbeit und klassischer Arbeitszeit. Aus der Grafik rechts ist zu entnehmen, dass die Verteilung sich deutlich um einen DLMO zwischen 21.00 Uhr und 23.00 Uhr gruppiert. Eine solche Kummulation war zu erwarten. Interessant sind jedoch vor allem die Spättypen. Einige Mitarbeiter weisen einen DLMO von später als 01.00 Uhr auf. Dies bedeutet, dass sich deren biologische Nacht zwischen 02.30 Uhr und 10.30 Uhr abspielt. Es sind sogar Personen im Testfeld dabei, deren biologische Nach sich noch später zeigt. Hierbei handelt es sich in diesem Fall um extreme Spättypen, die sogar eine biologische Nacht zwischen 06.30 Uhr und 14.30 Uhr bzw. 08.30 Uhr und 16.30 Uhr aufweisen. Im Gegenzug zeigen sich aber auch extrem frühe Typen, deren biologische Nacht teilweise schon um 16.30 Uhr beginnt und gegen 4.30 Uhr endet. Die biologische Nacht muss also keineswegs mit der irdischen Nacht zusammenlaufen.
Somit läßt sich tatsächlich aufzeigen, dass auch solche Extremtypen in Unternehmen zu finden sind. Gerade für die Belegung der Früh- und Nachtschichten im Rahmen der Schichtarbeit sind dies wichtige Erkenntnisse.
Neben den messbaren Verbesserungen, gibt es aber auch generelle Effekte, die alleine durch die Tatsache, dass das Thema seitens der Klinikleitung intensiv auf verschiedensten Ebenen bespielt wird, entstanden sind.
Bewusstseinsbildung, auch im Rahmen der Schichtarbeit
Verbesserungen in der Schichtarbeit bezogen sich bisher in erster Linie auf die Art der Rotation. Wie die Mitarbeiter selbst ticken, war überwiegen nicht relevant. Die wichtigste Voraussetzung ist daher die Überzeugung der Unternehmensleitung. Nur durch die im Vorfeld bei den Entscheidern erzeugte Begeisterung für die Chancen die in diesem Thema liegen war es möglich, ein Bewusstsein im Unternehmen zu schaffen, und diesen ersten Weg der Studie beschreiten zu können. Sowohl die Teilnehmer, als auch die Entscheider sehen nun vieles mit gänzlich anderen Augen. Auch dies alleine ist bereits als Erfolg zu bewerten.
Information
Veränderungen in der Schichtarbeit sind ein sehr sensibles Unterfangen. Chronobiologie ist ein noch in der Öffentlichkeit nahezu unbekanntes Feld und birgt neben Chancen, auch Potenzial für Ängste, wenn man manche Dinge nur oberflächlich betrachtet oder sie nicht erklärt. Die Anzahl der Teilnehmer in diesem Projekt wurde durch intensive Information durch uns (aliamos GmbH), der Projektgruppe BodyTime, der wissenschaftlichen Leitung Prof. Kantermann, als auch durch das unternehmensinterne Projektteam erreicht. Es bedarf rücksichtsvoller Information um Menschen zu gewinnen, die sich einem Bluttests unterziehen sollen. Die persönlichen Interviews waren daher besondern wichtig, um ggfs. auch Ängste auf Basis der persönlichen Situationen einschätzen und darauf basierend abbauen zu können.
Weiterer Verlauf
Die Studie selbst ist „nur“ ein Teil des geplanten Gesamtprojektes „ChronoClinic – Chronobiologie in der Klinik“ an der Klinik Wartenberg, das z.B. auch Themen der Beleuchtung und Ernährung beinhaltet. Sie bietet jedoch eine Grundlage für die Ausprägung.
Von September 2021 bis April 2022 wurde ein Folgeprojekt umgesetzt. Über 50 weitere Mitarbeiter*innen wurden mit dem neuen BodyClock RNA-Test auf Basis von Haarwurzeln/Haarfolikeln chronotypisiert und im Anschluss von mir und meiner Frau auf Basis des jeweiligen Ergebnisberichts gecoacht. Über 80% waren nun auch bereit, ihre Ergebnisse mit der Klinikleitung zu teilen, um die Arbeits- und Schichtzeiten auf Basis der Chronotypen zu optimieren. Das hierfür von uns entwickelte System „COPEP®“ wurde nach der ersten Studie verfeinert, was bereits jetzt (Ende Januar 2022) zu positiven Auswirkungen geführt hat.
- Höhere Akzeptanz bei der Freigabe der Daten für die Personaleinsatzplanung,
- positivere persönliche Effekte durch die individuellen Einzelcoachings etc.
Mehr zu diesem zweiten Projekt und den Ergebnissen finden Sie hier.
Presse & Medien
WDR Bericht in der Sendung „Markt“, Kugel2 am 22.06.2022. (ab Minute 28.30)
Projektpartner
FOM, Hochschule für Oekonomie und Management in Essen
Charité Berlin/Projektgruppe Bodytime (Prof. Achim Kramer)
BGW – Berufsgenossenschaft für Gesundheitdienst und Wohlfahrtspflege
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